Die Drostei

Jörg Schilling

Gebäude bieten Schutz vor dem Chaos und den Gewalten der Natur. Das war eine Voraussetzung zur Entwicklung architektonischer Distanz und Ordnung. Es entstand eine Kultur geregelter Entfernung – mit der Konsequenz, dass Architektur auch immer die schmerzlich empfundene Entfremdung von der Natur gestaltet.

Vitrinen sind architektonische Gebilde, die Distanz zu den Dingen und Themen schaffen, die in ihnen geordnet und ausgestellt werden. In den Werken von Anna Guðjónsdóttir sind Vitrinen ein Sujet.

In der Ausstellung „Greensleeves“ sehen wir u. a. gemalte Bilder von Vitrinen. Sie sind leer. Die Vitrinen stehen vor naturähnlichen Strukturen und werden von ihnen durchdrungen. Sie sind gleich- und dreiteilig sowie streng fluchtpunktartig aufgebaut. Die Vitrinen dienen als „Blickhilfen“. An anderer Stelle scheinen sie plastisch aus dem Bild zu treten und sich aufzuteilen. Sie wurden als Rahmen oder in skulpturale Einzelsegmente zerlegt im Raum installiert. Wahrgenommen werden sie im Bezug zur Innenarchitektur, die eine klare Ordnung hat – regelmäßige, symmetrische Raumfolgen, Felder und Linien, die aber in anderen Bereichen durch vegetabile Formen graziöser Stuck-Kurvaturen durchbrochen und überformt werden. Hier wird den Räumen die Strenge genommen – als würde sich die Natur etwas von dem Gebäude zurückerobern.

Innen

Die Drostei weist im rechteckigen Grundriss auf drei Stockwerken – sowohl im Erd-, ersten und zweiten Ober- bzw. Dachgeschoss – drei gleich große Bereiche auf, die sich auf neun Fensterachsen verteilen. Im dreiachsigen Mittelteil befinden sich die Haupträume: im Erdgeschoss die Eingangshalle, hinter der ein Gartensaal und daneben Seitenkabinette liegen. Eine Treppe führt seitlich in die oberen Geschosse. Über der Eingangshalle befindet sich im ersten Obergeschoss der große durchgehende Saal (Konzertraum). Als Hauptraum schließen sich ihm rechts und links zur Gartenseite Seitenkabinette und Nebenräume an. Linker Hand um das Treppenhaus herum ermöglichen sie einen Rundgang durch den Ausstellungsbereich des ersten Obergeschosses. Über dem großen Saal liegt in der zentralen Achse des zweiten (Dach-) Geschosses ein weiterer Ausstellungsraum mit einem Seitenkabinett. Die westliche Gebäudehälfte verfügt über ein zusätzliches wendelförmiges Nebentreppenhaus. Alle anderen Räume der drei Geschosse dienen Verwaltungs- oder Archivzwecken. Im Sockelgeschoss befindet sich heute eine Gastronomie.

Die repräsentativen Säle haben überwiegend die Ausstattung bewahrt: hölzerne Paneele, stuckierte Decken und Ofennischen. Die Holzpaneele werden – wie die Türen – durch farblich hervorgehobene, rechteckige Felder gegliedert. Ihre dreiteilige Anordnung bezieht sich auf das Achsensystem der Außenfassade. Die Wände schließen mit Gesims, Hohlkehle und rahmenden Profilleisten zu den Decken. Hier befinden sich in den Ecken „Rocaille-Kartuschen“, womit Zierrahmengebilde aus Stuck bezeichnet werden, die aus schnörkel- und muschelartigen Ornamentformen bestehen. Deren Ausläufer durchbrechen die Leisten und umranken die Linien. Das Spiel wiederholt sich in der Mitte der Deckenseiten. Teilweise sprießen aus den Schnörkeln Triebe mit Blattwerk. Im Zentrum der Decken befinden sich ebenfalls geschwungene Zierrahmenfelder, deren bandartige Formen nach den Seiten auszüngeln. Das Ornament ist locker und verspielt ausgeführt. Es wirkt leicht und heiter. Seine spannungslose Führung steht im Kontrast zu der Symmetrie des Gebäudes und strengen Aufteilung der Räume. Auch die im Hauptraum mittig und in den Seitenkabinetten eckig platzierten Ofennischen sind mit Rocaillen aus Stuck geschmückt. Die plastisch vortretenden Nischen, in denen zum Teil schlanke Rundöfen stehen, werden durch Pilaster gerahmt, die unten in Voluten auslaufen und oben durch Rundbögen abgeschlossen werden. Vasen oder geschwungene Aufsätze mit gesprengten Gesimsen reichen bis zur Decke mit den Kartuschen.

Außen

Das dreigeschossige Backsteingebäude, das auf einem hohen Sockelgeschoss fast viergeschossig anmutet, hat einen streng symmetrisch gegliederten Baukörper. Es trägt ein ziegelgedecktes, abgewalmtes Mansarddach – auf den Längsseiten jeweils zwei Dachgauben. In der neunachsigen Front tritt ein dreigeschossiger Risalit hervor, der drei Fensterachsen zusammenfasst und in einen Dreiecksgiebel ausläuft, in dem sich ein Querovalfenster mit geschweiftem Gewände befindet. Das Eingangsportal, zu dem eine leicht geschwungene Steintreppe hochführt, besteht aus Sandstein mit einem profilierten Segmentbogenrahmen – umringt von vegetabilen Ornamenten, darüber eine Mittelkartusche mit Wappen und ein geschweiftes Kranzgesims. Die Risalit- und Gebäudeecken sind in der Anmutung von Pilastern gequadert bzw. rustiziert. Vorder- und Rückseite sind annähernd gleich gestaltet. An den Schmalseiten fehlen Risalite und Eckpilaster. Blendfenster erhalten die Symmetrie der Achsen. Die Ostseite trägt ein Zwerchhaus, das mit drei Fenstern und Dreiecksgiebel die Gestaltung der Längsfronten aufnimmt, während an der Westfassade darauf verzichtet wurde. Geschossteilende Bänder mildern die vertikale Gliederung auf allen Seiten des Gebäudes. Für eine Auflockerung der Fassade sorgen Blenden, die nach oben segmentbogig abgeschlossen werden und in denen die hochkantigen Sprossenfenster sitzen. Sie können nach außen geöffnet werden.

Geschichte

Die Drostei wurde zwischen 1765 und 1767 – in der Endphase des Barock bzw. Rokoko – als Wohnsitz des Geheimen Konferenzrats Hans von Ahlefeldt-Seestermühe errichtet, der 1764 als Landdrost (Bezeichnung für einen königlich-dänischen Verwaltungsbeamten) nach Pinneberg gekommen war. Da sein Haus auch später nach ihm als Verwaltungssitz von Drosten diente, bekam es den Namen „Drostei“.

Der Architekt blieb unbekannt, wobei drei Namen in diesem Zusammenhang genannt werden: Cay Dose (um 1700–1768), Georg Greggenhofer (1719–1779) und Ernst Georg Sonnin (1713–1794). Letzterer wird in der einschlägigen Literatur favorisiert, was sich vor allem auf die Außenarchitektur der Drostei bezieht. Für Sonnin sprechen einige Gestaltungsdetails, aber vor allem die gleichmäßig strenge Gliederung und der rationalistisch unterkühlte, schlichte Charakter des Gebäudes. Da er auch für einen Verwandten des Bauherrn tätig war, scheint eine Auftragsübernahme möglich. Dagegen spricht, dass „das doch sehr erwähnenswerte Bauwerk“ (Heckmann 1977) in keinem von Sonnins Schriftstücken sowie der frühen Biografie erwähnt wird – womöglich weil Sonnin zeitgleich in historisch bedeutende Vorgänge eingebunden war. Er gehörte in Hamburg zu den Gründern der Patriotischen Gesellschaft von 1765, die sich im Zuge der Aufklärung für Bürger- und Bildungsrechte einsetzte. Aus ihr gingen gesellschaftlich prägende Initiativen hervor, wie 1767 eine von Sonnin mit ins Leben gerufene „Schule von Künstlern und Handwerkern“. Das Bauwesen verstand er als Kunst im Dienste des Allgemeinwohls, für das unter Zuhilfenahme des Verstandes mit überholten Traditionen gebrochen wurde. Sonnins berühmtes Hauptwerk, der Turm der Hamburger Kirche St. Michaelis, entstand allerdings erst zwischen 1777 und 1786. Mit ihm avancierte Sonnin zum Vertreter des Frühklassizismus. Er lebte in einer Zeit gesellschaftlichen und kulturellen Umbruchs – auch im Verhältnis zur Natur; die Schriften des französischen Philosophen und Streiters für die Aufklärung Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) markierten die Rückkehr zu einem „echten“ Naturgefühl. In diesem Zusammenhang lässt sich das Rokoko als ein Übergangsphänomen verstehen. Konventionen, Normen, hierarchische Systeme und feudale Ordnungen erfuhren künstlerisch-spielerische Brüche. Mit Heiterkeit wurde eine ablebende Welt verabschiedet, bevor die neue sich mit Vernunft und eigener Ordnung die Bahn brach. Das spiegelte sich auch in den Diskrepanzen innerer und äußerer Verfassung wider – was das Gebäude selbst als auch seine Einbettung in die Umgebung betraf. So stand die Drostei ursprünglich nicht allein, sondern war inmitten von Nebengebäuden das Zentrum einer landhaus-, wenn nicht schlossartigen Anlage. Das wurde auch durch den bereits um 1736 angelegten französischen Barockgarten betont, an dessen Hauptachse sich die Drostei orientiert und in dessen repräsentatives Bild das eher zurückhaltende Gebäude eingefügt wurde – mit aufklärerischer Absicht? Wenige Jahre nach dem Bau der Drostei erschienen die von Christian Cay Lorenz Hirschfeld (1742–1792) herausgegebenen, einflussreichen „Anmerkungen über die Landhäuser und die Gartenkunst“, in denen er den künstlich symmetrisch angelegten, durch den artifiziellen Beschnitt von Sträuchern, Hecken und Bäumen geprägten Barockgarten verurteilte. Tatsächlich erfuhr der Pinneberger Garten um 1795 eine grundlegende Veränderung. Nun entfaltete sich hinter dem Gebäude ein englischer Landschaftspark, der nach den zeittypischen Vorstellungen des Vorbilds der Natur umgestaltet wurde. Die Hamburger und Altonaer Kaufleute machten es auf ihren Landsitzen in den Elbvororten vor. Mit geschwungenen Wegen, ohne Achsen, Ebenmaß vermeidend, wurde eine Nähe zur Natur konstruiert. Der Garten avancierte zum Refugium vor den Bedrängnissen und dem Chaos der Zivilisation. Inmitten dieser Landschaften verkörperte das klassizistische Landhaus als Tempel menschlicher Vernunft und in Analogie zur Natur eine ideale Ordnung. Die Drostei passte mit ihrer klaren wie bürgerlich-schlichten Fassadengliederung in dieses Bild. Es liegt nahe, sie in diesen zwischen Entfremdung und Aneignung wechselnden Zusammenhängen als „Blickhilfe“ zu betrachten.

Nachdem das Gebäude lange Zeit als Verwaltungssitz unter dänischer Flagge gedient hatte, ging die Drostei 1863 in preußischen Besitz über. Weiterhin fungierte sie als Wohnsitz für Landräte. Nach dem Ersten Weltkrieg endete diese Nutzungsphase, da die Wohnfläche die Ansprüche des neuen sozialdemokratischen Landrats überstieg. 1929 zog in das Haus das staatliche Katasteramt ein. Daraufhin wurde es im Innern baulich verändert und den Bedürfnissen der Behörde angepasst. 1933 nahm zusätzlich die SA-Standarte 365 in den oberen Räumen Quartier. Das Gebäude wurde zum „Standartenhaus“ ernannt und mit Hakenkreuzfahnen beflaggt. Der Drosteipark, der nach 1918 für das allgemeine Publikum geöffnet worden war, hieß nun „Standartenpark“. Doch 1938 musste die (entmachtete) SA das Gebäude räumen, da das Katasteramt mehr Platz beanspruchte. Der Gewölbekeller erfuhr einen Ausbau als Luftschutzkeller. Im Krieg wurden hier noch das Kreiswirtschaftsamt und das Amt für Verteidigungslasten untergebracht. In den 50er-Jahren erlebte das Gebäude weitere Umbauten und Anpassungen. Nebenbei veränderte sich die städtebauliche Situation um die Drostei. Schon im 19. Jahrhundert war südlich des Gebäudes ein großer Bereich der ehemaligen Gartenanlagen verloren gegangen. Ab Mitte der 50er-Jahre wurde im östlichen Teil die Straße „Am Drosteipark“ angelegt, wodurch sich die Anlage noch mal verkleinerte und den symmetrischen Bezug zum Gebäude verlor. Der Park wurde zuletzt mit der Restaurierung der Drostei Ende der 80er-Jahre neu gestaltet, präsentiert sich aber heute als unattraktive Grünfläche mit eingeschränkter Erholungsfunktion. Ähnlich sieht es auf der Vorderseite des Gebäudes aus, wo im Zuge des Drosteiumbaus zum Kulturzentrum eine Fußgängerzone eingerichtet wurde, die sich nach Norden in einen unwirtlichen Bereich erstreckt.

Das Katasteramt blieb bis 1984 in der Drostei. Mit dessen Auszug wurde der „Barockbau“, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den Besitz des Landes Schleswig-Holstein übergegangen war, durch einen Schenkungsvertrag dem Kreis Pinneberg vermacht. Schon vorher hatte es Bestrebungen gegeben, das Gebäude – dem kulturgeschichtlichen Rang entsprechend – einer adäquaten Nutzung zuzuführen, wozu man 1970 die „Stiftung Landdrostei Pinneberg“ gründete. Bereits 1965 war das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt worden. Die Schenkung wurde an den Zweck gebunden, in der Drostei ein Kulturzentrum des Kreises Pinneberg einzurichten. Das folgende Nutzungskonzept erkannte in der „architektonischen Würde“ des Hauses die Möglichkeit, die Drostei für repräsentative Veranstaltungen und Empfänge zu öffnen. Voraussetzung war die Sanierung und Restaurierung des Gebäudes. Obwohl auf originale Baupläne nicht zurückgegriffen werden konnte, wurden die barocken Raumfolgen und Fassadengliederungen rekonstruiert. Das Interieur, inklusive Paneele, Türen und Fenster, erfuhr eine denkmalpflegerisch begutachtete Aufarbeitung bzw. Neuanfertigung. Die Haustechnik wurde modernen Anforderungen angepasst.

Intention

1991 konnten die Arbeiten abgeschlossen und die Drostei als Kulturzentrum eröffnet werden. Die programmatische Ausrichtung wurde unter das Motto „Barock und Moderne“ gestellt. Seit 2006 finden hier „Barockfeste“ statt – auch 2017, wo sich die Drostei nicht nur als ein „Kulturknotenpunkt“ des Landeskulturverbandes Schleswig-Holstein präsentiert, sondern auch ihren 250. Geburtstag begeht. Doch längst ist die Drostei auch ein „Identitätsanker“ Pinnebergs geworden; die neue Mitte der Stadt, die 2011 in einem Städtebauwettbewerb erkoren wurde, soll an ihr ausgerichtet werden. Nicht nur für die Fußgängerzone, sondern auch für die Parkanlagen gibt es Bestrebungen, barocke Strukturen wieder aufleben zu lassen. Es soll dahingestellt sein, ob dies im Sinne ihres Baumeisters und seiner Zeit, zwischen Feudalismus und Aufklärung, im Spannungsfeld von Architektur und Natur, von Ordnung und Überformung, von distanzierter Aneignung und spielerischer Entfremdung, wäre. Insofern sind der Drostei auch in Zukunft Ausstellungen zu wünschen, die sie als „Blickhilfe“ verwenden oder sogar thematisieren.

Literatur:

  • „Am Drosteiplatz schlägt das Herz der Stadt“, in: „Hamburger Abendblatt“, 30.05.2011. http://www.abendblatt.de/region/pinneberg/article106541761/Am-Drosteiplatz-schlaegt-das-Herz-der-Stadt.html, Abruf: 13.05.2013.
  • Beig, Dieter: „Kultur – ein langer Weg. Die Geschichte der Pinneberger Landdrostei“, Neumünster 2007.
  • Bessert, Erle: „Die Drostei heute – ein Kulturzentrum für den Kreis Pinneberg“, in: Beig, Dieter: „Kultur – ein langer Weg. Die Geschichte der Pinneberger Landdrostei“, Neumünster 2007, S. 85–107.
  • Heckmann, Hermann: „Sonnin. Baumeister des Rationalismus in Norddeutschland“, Hamburg 1977.
  • Heckmann, Hermann: „Baumeister des Barock und Rokoko in Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Lübeck, Hamburg“, Berlin 2000.
  • Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: „Anmerkungen über die Landhäuser und die Gartenkunst“, Leipzig 1773.
  • Lang, Gudrun: „Drosteipark Pinneberg. Dokumentation und Bestandsbewertung“, Hamburg o. J. https://www.pinneberg.de/fileadmin/user_upload/FB_III/Artikel/Gesamtes_Gutachten_Drosteipark.pdf, Abruf: 13.06.2017.
  • Mölln, Arthur: „Das Katasteramt in der Drostei 1929–84“, in: Jahrbuch für den Kreis Pinneberg, hg. v. Heimatverband für den Kreis Pinneberg von 1961 e. V., 2004, Bd. 37, S. 77–86.
  • Schilling, Jörg: „Das Landhaus J. H. Baur in Altona. Ein Bau von Christian Frederik Hansen im Wandel der Zeit“, Hamburg 2017.
  • Schlepps, Irmgard: „Barock- und Rokokostuckatoren in Schleswig-Holstein bis ca. 1760“, in: „Nordelbingen“, Bd. 23, 1955, S. 78–96.
  • Seehase, Peter: „Die Restaurierung der Drostei“ (1987), in: Beig, Dieter: „Kultur – ein langer Weg. Die Geschichte der Pinneberger Landdrostei“, Neumünster 2007, S. 72–83.
  • Wolfgang Teuchert: „Beschreibung des Anwesens Landdrostei“ (1961), in: Beig, Dieter: „Kultur – ein langer Weg. Die Geschichte der Pinneberger Landdrostei“, Neumünster 2007, S. 66–71.